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»Erheblicher Personalmehrbedarf«

Martin Rücker

Gutachten: Lebensmittelkontrolle in Schleswig-Holstein drastisch unterbesetzt

Ein Drittel mehr Stellen sei nötig, damit die Lebensmittelämter in Schleswig-Holstein ihre Kontrollaufgaben erfüllen können: Zu diesem Ergebnis kamen externe Prüfer im Auftrag der Landesregierung. Doch die Staatskanzlei war mit dem Gutachten nicht einverstanden. Der Streit landete vor Gericht. 

25. März 2022

Externe Prüfer haben kritische Mängel bei den Lebensmittelkontrollen in Schleswig-Holstein ausgemacht. „Die Sicherstellung einer umfassenden Lebensmittelüberwachung kann derzeit nicht in vollem Umfang gewährleistet werden“, heißt es in einem 179 Seiten starken, unveröffentlichten Gutachten. Demnach werden deutlich weniger Betriebe kontrolliert und Proben gezogen als vorgeschrieben. Die Lebensmittelbehörden könnten ihren Aufgaben „durch den Personalmangel nicht auf dem qualitativ gewünschten Niveau“ nachgehen.


Im Auftrag der Staatskanzlei hatte das Bonner Beratungsunternehmen AFC Public Services bereits 2019 die Arbeit der 15 kommunalen Lebensmittelämter, des Landeslabors und des Verbraucherschutzministeriums analysiert. Vor allem glich es das vorhandene Personal in Kreisen und kreisfreien Städten mit dem eigentlichen Personalbedarf ab, gemessen an den gesetzlichen Aufgaben der Lebensmittelüberwachung. Diese können nur einzelne Ämter weitgehend erfüllen. In anderen Kreisen fiel über Jahre hinweg mehr als die Hälfte der vorgeschriebenen Betriebskontrollen aus.


Berater sollten Personalbedarf ermitteln – nur nicht im Ministerium


Einen „erheblichen Personalmehrbedarf“ attestiert das Gutachten folglich. Den Ämtern verfügten zum Prüfungszeitpunkt über umgerechnet knapp 115 Vollzeitstellen – benötigt würden ein Drittel mehr. Insgesamt fehlten 37 Stellen, die meisten (23,5) für Lebensmittelkontrolleure. Nur in den Kreisen Pinneberg und Steinburg sahen die Gutachter keine Lücke. In Lübeck hielten sie zu den bis dato sieben Stellen vier weitere für nötig. Den Personalbedarf im Ministerium sollten die Berater ausdrücklich nicht ermitteln. Sie empfehlen, dies nachzuholen.


Bereits im Juni 2020 lag das Gutachten der Landesregierung vor. Doch die Staatskanzlei verweigerte Abnahme und Abschlusszahlung an den Dienstleister. Es kam zum Rechtsstreit, der erst im Dezember 2021 mit einem Vergleich endete – inhaltliche Änderungen setzte die Staatskanzlei dabei nicht durch. In einem Schreiben an den Umweltausschuss des Landtages von Anfang Februar dieses Jahres erhob Verbraucherschutz-Staatssekretär Wilfried Hoops nun schwere Vorwürfe gegen die Prüfer: Deren Bericht enthalte „erhebliche Mängel und zum Teil sachlich falsche Darstellungen“. Doch wie die Lübecker Nachrichten erfuhren, soll das Gutachten zwischen den Fachleuten im Verbraucherschutzministerium und AFC inhaltlich längst abgestimmt gewesen sein, als sich die Staatskanzlei als Auftraggeber querstellte. Diese kommentiert das als „unzutreffend“.


Die AFC-Gruppe wiederum weist den Vorwurf sachlicher Fehler zurück. Solche wären problemlos korrigiert worden, heißt es bei dem von Ministerien und Lebensmittelbehörden bundesweit regelmäßig beauftragten Beratungsunternehmen. Die Staatskanzlei habe jedoch gar keine konkreten Hinweise auf angebliche Fehler gegeben. Auf Anfrage erklärt Regierungssprecher Peter Höver einerseits, es seinen Nachbesserungen eingefordert worden – und andererseits, dass es gar keine abschließende „Auflistung der Mängel“ gebe. Was in dem Bericht falsch dargestellt sein soll, weshalb genau die Staatskanzlei die Abnahme verweigerte, beantwortet Höver nicht. So wirken die Abläufe auch wie eine Bestätigung des Gutachtens, das deutliche Unstimmigkeiten zwischen den beteiligten Behörden erkennen lässt. Immer wieder ist die Rede davon, dass die Vorgehensweisen „uneinheitlich“, die Ämter „heterogen aufgestellt“ seien.


Abgeordneten liegt Gutachten nicht vor


Seit Mitte Januar gilt das Gutachten nun offiziell als abgenommen. Am 30. März soll die Landesregierung auf Antrag des SSW im Umweltausschuss Bericht erstatten. Das Dokument selbst legte sie den Abgeordneten bislang allerdings offenbar nicht vor. „Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir das proaktiv zur Verfügung gestellt bekommen“, kritisiert die SPD-Abgeordnete Kerstin Metzner. „Wir müssen über das Gutachten sprechen“, verlangt auch SSW-Politiker Christian Dirschauer. Er will wissen, welche Schritte geplant seien, und fordert eine „adäquate Personalausstattung“ ein. „Wenn die nicht gegeben ist, ist das fast schon ein Skandal. Es geht hier schließlich um unsere Gesundheit.“


Genau da sehen die Gutachter Verbesserungsbedarf. Sie regen eine stärkere „Zentralisierung“ an, um die Kommunen zu entlasten. Proben könnten künftig vom Landeslabor genommen werden, im Ministerium brauche es ein unabhängiges Qualitätsmanagement. Nicht zuletzt soll eine Rufbereitschaft eingerichtet werden. Denn Krisenfälle – wie Rückrufaktionen – könnten jederzeit eintreffen und müssten „zeitnah“ bearbeitet werden, „auch an Wochenenden und Feiertagen, insbesondere bei hoher Gesundheitsgefahr.“ Weder im Ministerium noch in den Kommunen gebe es jedoch eine „arbeitsvertraglich geregelte durchgehende Erreichbarkeit“.


Im Ministerium ist die Rufbereitschaft inzwischen eingerichtet, erklärte ein Sprecher. Zudem sei die Zahl der Planstellen in den Kommunen zwischen 2019 und 2021 gestiegen: um vier.



Wie es um die weiteren Vorschläge aus dem Gutachten von 2020 steht? Diese würden noch geprüft, heißt es in Staatskanzlei und Ministerium. 


AFC-Gutachten herunterladen

Über das Gutachten, seine spannenden Hintergründe und die Konsequenzen daraus habe ich heute zuerst in den Lübecker Nachrichten berichtet.


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