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Keine Proben, sechs Jahre keine Kontrolle

Martin Rücker

Listerien-Skandal in Bayern: Auch ein Behörden-Skandal

13 Erkrankte, ein Toter seit 2015 – die traurige Bilanz eines Listeriose-Ausbruchs in Bayern. Weil die Behörden einen Gemüsebetrieb als mutmaßliche Infektionsquelle ausfindig machen konnten, verkauft das Landesamt den Fall als »Erfolg«. Nun zeigt sich, dass es Versäumnisse auch bei den Behörden gab: Sie kontrollierten den Betrieb jahrelang gar nicht und ließen zu, dass Labortests für Listerien fehlten. Dabei waren Hygienemängel schon länger bekannt.

8. Juli 2022

Seit 2015 war der Listeriose-Ausbruch Ypsilon1a aktiv, in jedem Jahr gab es neue Erkrankungsfälle. 13 insgesamt, der letzte im Januar 2022. Ein Mann starb im Jahr 2015.  Am 24. Juni schloss der Landkreis Passau einen Gemüsebetrieb. Der war nicht nur aufgrund von Hygienemängeln auffällig geworden, beim bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) hatte man auch eine Übereinstimmung von Bakterienfunden aus dem Betrieb mit jenen der Erkrankten feststellen können. Die Öffentlichkeit erfuhr zunächst nichts.


Ich hörte von dem Fall, stellte u.a. beim LGL am 30. Juni eine Anfrage. Auskunft kam innerhalb der erbetenen Frist keine, telefonisch war für mich keine befugte Person zu sprechen. Statt meine Fragen zu beantworten, ging das Landesamt am Freitagnachmittag (1. Juli), offenbar überstürzt an die Öffentlichkeit – so schnell, dass noch nicht einmal das namentlich in der Pressemitteilung erwähnte Landratsamt Passau vorab informiert wurde, wie ein Sprecher des Kreises bestätigte.


Überschrift der LGL-Mitteilung: »Erfolg bei Listerien-Ausbruchsermittlung«.


Richtig insofern, als dass mit dem kleinen Unternehmen, das vorgeschnittenes Obst und Gemüse an Großküchen für Kliniken, Heime und »Essen auf Rädern« geliefert hatte, die mutmaßliche Infektionsquelle gefunden war. Andererseits eben erst nach sieben Jahren. Wie gut Gesundheits- und Lebensmittelbehörden in dieser Zeit gearbeitet haben, ob der Ausbruch schon früher hätte gestoppt werden können: All dies ließ sich auf Basis der zunächst bekannten Informationen nicht beurteilen. Reichlich früh für eine volle Erfolgsmeldung also.


Viele Fragen sind noch immer offen (und meine auch öffentlich). Inzwischen steht jedoch fest: Versäumnisse gab es auch auf Behördenseite. Mindestens beim Landkreis Passau, der für die Kontrolle des Gemüsebetriebs zuständig ist, und bei der bayerischen Staatsregierung, die die offenkundig mangelhafte Ausstattung der kommunalen Lebensmittelbehörden duldet.


Kontrolllücke beim Landkreis: Sechs Jahre keine Prüfung


Konkret: Der Obst- und Gemüsebetrieb, der den Behörden als mutmaßliche Quelle des Listeriose-Ausbruchs gilt, ist über sechs Jahre hinweg nicht amtlich kontrolliert worden.


Wie ein Sprecher des Landkreises Passau auf Anfrage mitteilte, hatte das Veterinäramt im Dezember 2014 eine geplante Betriebskontrolle durchgeführt. Schon damals gab es Grund zur Beanstandung Neben baulichen Mängeln stießen die Kontrolleure auf Probleme bei der „Produktionshygiene“ und den betrieblichen Eigenkontrollen. Im März 2015 führten sie eine Nachkontrolle durch. Die nächste planmäßige Betriebsprüfung erfolgte trotz der Schwierigkeiten erst im Juli 2021 – mehr als sechs Jahre später. 


Den Angaben des Sprechers zufolge hatte das Veterinäramt den Betrieb in eine Kategorie eingestuft, die eigentlich alle eineinhalb Jahre Routinekontrollen vorsahen. So ist es in einer bundesweiten Verwaltungsvorschrift geregelt, die bis 2021 noch empfehlenden Charakter hatte und seither verbindlich gilt. Allerdings verpflichtete sie die Ämter bereits zuvor, jedes Lebensmittelunternehmen „in der Regel mindestens alle drei Jahre“ zu kontrollieren. Auf Anfrage bestätigt das Landratsamt, dass eigentlich bereits im Juni 2016 eine weitere Betriebsprüfung geplant gewesen sei. Aber: Personalmangel und Krankheitsfälle „hemmten die Kontrolltätigkeit erheblich“, erklärte der Sprecher mit Bezug auf die Jahre 2016 bis 2018. Später habe der Corona-Lockdown „zu einer erneuten Unterbrechung“ der Kontrollarbeit geführt. 2019 hatte das Veterinäramt des Landkreises lediglich überprüft, ob der Betrieb die Rückrufaktion eines Lieferanten ordnungsgemäß durchgeführt hatte – eine vollständige Betriebsprüfung war dies nicht.


Kreis zeigt Unterbesetzung beim Land an – ohne Erfolg


Auch bei den Eigenkontrollen des Unternehmens gab es den Angaben zufolge erhebliche Lücken. Eine EU-Verordnung verpflichtet Lebensmittelhersteller grundsätzlich dazu, im Betrieb sowie von Produkten Proben zu nehmen und auf Listerien analysieren zu lassen – nur eine genaue Vorgabe, wie häufig Labortests beauftragt werden müssen, gibt es nicht. Die Betriebe müssen in Eigenverantwortung Probenpläne erstellen und die Tests in Auftrag geben. „Nach unserer Kenntnis hat der Betrieb dies nicht“, erklärte der Landkreis-Sprecher.


In diesem Juni waren es amtliche Labortests, die die Behörden auf die Spur des Betriebs führten. Aus den Jahren zuvor hat der Landkreis keine Kenntnis von Laborergebnissen des Unternehmens – für den gesamten Zeitraum seit 2015, seitdem der Listeriose-Ausbruch aktiv war. Das wirft auch ein schlechtes Licht auf die Kontrollen des Veterinäramtes: Dessen Aufgabe wäre es gewesen, die Eigenkontrollsysteme der Betriebe zu prüfen und notfalls Anordnungen zu treffen, damit die Mechanismen funktionieren. 


Wie Sandra Niedermaier in der Passauer Neuen Presse berichtete, haben die Engpässe durchaus System. Die Anzahl der staatlichen Stellen für Lebensmittelkontrolleure im Landkreis liege bei 5,5, damit müssten fast 4.200 Lebensmittelbetriebe überwacht werden. Der Kreis habe »dieses numerische Missverhältnis den vorgesetzten Landesbehörden wiederholt mitgeteilt« – offenkundig: ohne Erfolg.


Die Rechercheergebnisse zu den Lücken bei amtlichen und Eigenkontrollen erschienen zuerst in der Passauer Neuen Presse.
Foto: Giovannicancemi/CrushPixel.


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