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Kinderzahnpasta weiter mit Titandioxid

Martin Rücker

Nenedent: Verzicht auf umstrittenen Farbstoff verzögert sich

Titandioxid steht in Verdacht, erbgutschädigend und krebserregend zu sein. Dentinox, der Hersteller einer verbreiteten Zahncreme-Marke für Kleinkinder, hatte vor einem Jahr angekündigt, in Zukunft auf den Farbstoff verzichten zu wollen. Neue Rezepturen stellte er für Ende 2021 in Aussicht. Doch daraus wurde nichts, nun ist von Ende 2022 die Rede – wenn alles gut läuft.

11. April 2022

Ende Mai 2021 teilte das Berliner Unternehmen Dentinox auf Anfrage mit, »dass wir in der Rezepturentwicklung einer neuen Grundvariante unserer Zahncreme bereits so weit fortgeschritten sind, dass wir derzeit zwei Versionen in der Stabilitätsprüfung haben und wir davon ausgehen noch in diesem Jahr die Nenedent Zahncremes ohne Titandioxid auf den Markt zu bringen.« Noch 2021 also – daraus wurde nichts. Heute, ein Jahr später, sind die weit verbreiteten Zahnpasten für Kleinkinder weiterhin mit dem höchst umstrittenen Farbstoff im Handel, erhältlich zum Beispiel bei großen Drogeriemarktketten.


Als Zusatz in Lebensmitteln wurde Titandioxid gerade EU-weit verboten, nachdem ihn die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA aufgrund nicht auszuschließender Gesundheitsgefahren als „nicht mehr sicher“ für Lebensmittel eingestuft hatte. Für Zahncremes ist er weiterhin erlaubt – wozu auch eine Initiative der Kosmetiklobby beitrug, die eine seit langem geplante EU-Risikobewertung für Zahnpasten erfolgreich verzögert hat (an anderer Stelle hier im Blog berichtete ich darüber).


DM stellt bei Eigenmarken bereits um


Auf Anfrage teilte Nenedent-Hersteller Dentinox nun mit, man habe sich entschieden, »nicht nur eine Rezeptur zu ändern, sondern möglichst gänzlich auf den Zusatz von Titandioxid zu verzichten. Hierzu sind bisher unterschiedliche Projekte gelaufen.« Doch kam es offenbar zu Verzögerungen, die die Ankündigung von vor einem Jahr nichtig machen. Der Kosmetik-Chef des Unternehmens, Michalis Nakos, erklärt, dass man aktuell noch »an den entsprechenden Rezepturveränderungen« arbeite: »In Zusammenarbeit mit externen galenischen Laboren und Lohnherstellern überprüfen wir u.a. die Skalierbarkeit der neuen Rezepturen. Anschließend werden unsere optimierten Produkte umfangreichen Stabilitäts- und Sicherheitsprüfungen unterzogen. Vorausgesetzt, dass die optimierten Produkte unsere strengen Prüfungen bestehen, sollten die Entwicklungsarbeiten gegen Ende des Jahres abgeschlossen sein.«


Statt Ende 2021 also Ende 2022 – wenn alles gut geht. Nähere Gründe für die Verzögerung möchte Dentinox nicht nennen. Andere Hersteller werden schneller sein. So kündigte die Drogeriemarktkette dm an, alle Zahnpasten der Eigenmarke Dontodent im ersten Halbjahr 2022 auf Titandioxid-freie Rezepturen umgestellt zu haben. Erste Produkte mit neuer Rezeptur sind bereits im Markt.


Was genau die Umstellung so schwierig macht, wollte Dentinox nicht erklären. Titandioxid ist in Zahncremes ein ohne Weiteres verzichtbarer Bestandteil – das Pigment dient der Weißfärbung, hat aber keine Bedeutung für die Putz-Wirkung der Produkte. Weil Titandioxid als ganz besonders strahlend weiß gilt, ist der Farbstoff in den meisten in Deutschland vermarkteten Zahncremes enthalten, in der Zutatenliste erkennbar am Klarnamen oder – wie bei Nenedent – an seinem Pigmentnamen »Cl 77891«.


Nano oder nicht: Auch auf die Pigmentgröße kommt es an


Ihre Einstufung als »nicht mehr sicher« begründete die EFSA damit, dass sich Hinweise aus Studien auf ein möglicherweise krebserregendes und erbgutschädigendes Potenzial von Titandioxid nicht entkräften ließen. Die EU-Behörde bezieht dies gemäß ihrem Prüfauftrag ausschließlich auf Titandioxid, das als Lebensmittel-Zusatzstoff von den Verbraucher:innen geschluckt wird.


Zahnpasta wird zwar nicht wie Lebensmittel verzehrt, dennoch hat die EFSA-Bewertung hier durchaus Relevanz. 2016 legte eine niederländische Studie nahe, dass bei Kindern das versehentliche Verschlucken von Zahnpasta wesentlich zur Titandioxidaufnahme beiträgt. Dass es dabei nur um geringe Mengen geht, ist nicht entscheidend: Beim Lebensmittelzusatzstoff ging die EFSA davon aus, dass sich der Stoff im Körper anreichern kann, eine unbedenkliche Aufnahmemenge konnte sie daher nicht benennen. Fraglich ist zudem, welche Rolle der Kontakt mit der Mundschleimhaut spielt. Eine norwegische Studie lieferte 2017 Hinweise darauf, dass Nano-Partikel von Titandioxid die Schleimhaut durchdringen können.


Möglicherweise ist also nicht nur entscheidend, wie viel Pasta geschluckt wird, sondern wie groß die Titandioxid-Partikel sind. Die Kommunikation von Nenedent-Hersteller Dentinox war diesbezüglich nicht besonders transparent. Angaben zur Größenverteilung der Titandioxid-Partikel in Zahncremes hatte Dentinox im Mai 2021 auf Anfrage nicht gemacht, sondern pauschal erklärt: »Das von uns in den Nenedent Zahncremes eingesetzte Titandioxid ist definitiv nicht zu den Nanomaterialien zu rechnen!« Das klingt deutlich – sagt womöglich aber herzlich wenig. Denn eine Aussage, ob seine Zahnpasta damit auch wirklich frei von Titandioxid-Nanopartikeln ist, macht der Hersteller damit nicht.


»Kein Nanomaterial« heißt nicht unbedingt ohne Nanopartikel


Der Trick liegt in der formaljuristischen Definition von »Nanomaterial« in der EU-Kosmetikverordnung. Diese definiert nur das als »Nanomaterial«, was gezielt in dieser Partikelgröße hergestellt wurde. Bei Lebensmitteln zeigten jedoch zahlreiche Untersuchungen, dass das dort eingesetzte Titandioxid regelmäßig auch Nanopartikel enthielt, obwohl diese besonders kleinen Teilchen für den gewünschten Farbeffekt gar nicht nötig sind.  Ob das in der Zahnpasta genutzte Titandioxid – wie bei Lebensmitteln – am Ende also auch Nanopartikel enthält, ungewollt, kann nur der Hersteller beantworten. Die europäischen Regularien ließen das zu, solange die Anzahl der Teilchen in Nanogröße unter 50 Prozent bleibt. »Damit können Hersteller mit Recht behaupten, dass ein Kosmetika-Inhaltsstoff kein Nanomaterial ist, er kann aber trotzdem einen kleinen Anteil von Nanopartikeln aufweisen«, sagte mir damals die Chemikerin Natalie von Götz, die an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich Untersuchungen zu Titandioxid geleitet hat.


Mit GSK bei manchen Parodontax-Produkten geht ein Hersteller übrigens den gegenteiligen Weg: Er brachte unlängst neue Rezepturen für bis dahin Titandioxid-freie Produkte auf den Markt, die den Farbstoff plötzlich enthalten. Das Beispiel zeigt: Ob Zahnpasta auch in Zukunft mit Titandioxid hergestellt wird oder nicht, entscheidet sich am Ende daran, ob der europäische Gesetzgeber eingreift oder nicht.

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