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Warnung mit einer Woche Verzug

Martin Rücker

Vermeintlicher Salmonellen-Fall legt Schwachstellen offen

Ein vermeintlicher Salmonellen-Fall aus Bonn legt Schwachstellen der amtlichen Lebensmittelüberwachung in Nordrhein-Westfalen offen: Personalmangel im Amt, fehlende Wochenenddienste und eine schleppende Information der Verbraucher. 

17. Februar 2022

Salmonellen: positiv – über diesen Laborbefund informierte die Bonner Firma Vita Natura die Lebensmittelüberwachung der Stadt am frühen Morgen des 13. Januar. Bei einer Eigenkontrolle hatte sich eine Charge „Bio Brennnessel Samen“ als belastet herausgestellt. Vita Natura hatte das angebliche „Superfood“ über den eigenen Onlineshop verkauft sowie bundesweit über Großhändler und Apotheken weiter vertrieben. „Aufgrund bestehender Gesundheitsgefahr“ rief der Nahrungsergänzungsmittel-Spezialist sein Produkt am 14. Januar zurück. Doch bis eine breite Öffentlichkeit und mutmaßlich auch ein Teil der betroffenen Kunden davon erfuhr, verging eine ganze Woche: Erst am 21. Januar veröffentlichte das staatliche Internet-Rückrufportal lebensmittelwarnung.de einen Hinweis. Dieser ging per E-Mail auch an Journalisten und löste mediale Berichterstattung aus – sieben Tage nach dem Rückruf.

 

Der Fall aus Bonn legt manche Schwachstelle der amtlichen Lebensmittelüberwachung offen: eine dünne Personaldecke, bürokratische Verfahren – und Dienstzeiten, die auch im Notfall nicht angepasst werden. Wie kam es zu dem Verzug bei der Verbraucherinformation?


Stadt Bonn ging von Gesundheitsgefährdung aus – doch um 14 Uhr ist Dienstschluss


Intensive Nachfragen bei den beteiligten Behörden ergeben ein Bild der Abläufe. Noch am 13. Januar erhält demnach das Lebensmittelüberwachungsamt der Stadt Bonn den Laborbefund der Firma. Mehrfach, so stellt es das Amt dar, muss es an jenem Donnerstag und dem folgenden Freitag Anordnungen treffen, damit das Unternehmen angeforderte Informationen liefert, den Rückruf schnell durchführt und seine direkten Abnehmer benachrichtigt – und zwar nicht nur auf dem denkbar langsamsten Weg, per Post, wie nach Angaben der Stadt zunächst beabsichtigt. Eine Anfrage an Vita Natura zu den Abläufen blieb ohne Antwort.


Den Versand einer Pressemitteilung verlangt die Stadt Bonn vom Unternehmen nicht. Eine solche hätte bereits früher Medienberichte auslösen und damit mehr Menschen erreichen können als ein kleiner Text auf der Internetseite des wenig bekannten Anbieters – vor allem Kunden, die ein möglicherweise belastetes Produkt nicht direkt von Vita Natura, sondern in einer Apotheke gekauft hatten. Und auch die Meldung auf dem genau für diesen Zweck vorgesehenen staatlichen Warnportal im Internet lässt auf sich warten.


Obwohl die städtischen Verantwortlichen von einer „Gesundheitsgefährdung“ ausgehen, geschieht ab Freitagnachmittag erst einmal: nichts. Um 14 Uhr ist Dienstschluss im Amt, einen Not- oder Bereitschaftsdienst für den Nachmittag und das Wochenende gibt es nicht. „Ich habe das schon angeregt, aber das ist nicht gewollt“, sagt Amtstierärztin Uda Erbe, Leiterin der Bonner Lebensmittelüberwachung. Einen Wochenenddienst müsste die Stadt anordnen, das Personal für Bereitschaftszeiten bezahlen. 


Screenshot der Behördenmeldung auf lebensmittelwarnung.de
Rückruf-Information des Inverkehrbringers, Quelle: lebensmittelwarnung.de

Bildquellen: Screenshots www.lebensmittelwarnung.de

Landesamt wartete auf pdf-Datei

So informieren die Beamten erst nach dem Wochenende – offenbar nach Durchsicht neuer Angaben des Unternehmens – das nordrhein-westfälische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Verbraucherschutz über den Rückruf. Das „LANUV“ ist landesweit für die Einstellung von Rückrufen auf lebensmittelwarnung.de zuständig. Was die Verbraucher in einer solchen Situation wissen müssen, um sich zu schützen, ist nicht viel: Den Namen des Produkts, die betroffene Charge, den Hinweis auf den Salmonellen-Verdacht. Warum veröffentlichte das LANUV nicht sofort, was es wusste, um betroffene Kunden schnell zu warnen? Das nordrhein-westfälische Verbraucherschutzministerium, dem das Landesamt untersteht, beantwortet dies mit dem Fehlen eines formal korrekten, „separaten Rückrufschreiben (z.B. in Form einer pdf- oder Word-Datei)“, wie es auch im Handel ausgehängt wird. Ohne einen solchen Aushang des verantwortlichen Unternehmens würden Rückrufe „in der Regel nicht ins Portal eingestellt“. Dass wesentliche Informationen längst vorlagen, reichte dem LANUV nicht aus.


  • Rückruf-Infos im Internet

    Muss ein Lebensmittel aufgrund einer Gesundheitsgefährdung zurückgerufen werden, liegt die Verantwortung für eine Warnung der Verbraucher beim Unternehmen. Die Lebensmittelämter überwachen die Maßnahmen und ordnen bei Bedarf weitere an. Um schnell und gebündelt zu informieren, weisen Behörden zudem bundesweit auf der Plattform www.lebensmittelwarnung.de auf Rückrufaktionen hin. Ein E-Mail-Newsletter für die Warnmeldungen war zwar bereits zum Start der Plattform im Jahr 2011 zwischen Bund und Ländern fest vereinbart, existiert jedoch bis heute nicht. In ihrem Koalitionsvertrag kündigte die neue Bundesregierung eine Überarbeitung der Plattform an, Details nannte sie bislang nicht. Mehr und teilweise schnellere Informationen über Rückrufe gibt es auf den privaten Seiten www.produktrueckrufe.de und www.produktwarnung.eu.


Den finalen Aushang übermittelt Vita Natura der Stadt Bonn noch einmal zwei Tage später, am Nachmittag des 19. Januar. Am Folgetag ist das Amt unterbesetzt. „Aufgrund der personellen und Corona-Situation“ sei am 20. Januar nur eine Person aus der Lebensmittelüberwachung „in der Behörde anwesend“ gewesen, heißt es bei der Stadtverwaltung. Erst am 21. Januar leitet sie das Dokument ans LANUV weiter, und endlich stellt die Landesbehörde die Meldung auf lebensmittelwarnung.de ein. Das löst den Versand einer Pressemitteilung aus und Hinweise in den sozialen Medien – eine gesundheitsrelevante Information erreicht so, mit einer Woche Verzug, eine breitere Öffentlichkeit. Möglich gewesen wäre dies bereits deutlich früher.


Anfang dieser Woche schließlich folgte im Fall der Brennnesselsamen die mögliche Entwarnung: Das Bonner Lebensmittelamt hatte zum Abgleich selbst eine Probe des Produkts in ein staatliches Labor geschickt – konnte dort eine Salmonellenbelastung aber nicht bestätigen. War alles also falscher Alarm? Eines zeigt der Fall unabhängig von dieser Frage: Um im Notfall die Verbraucher möglichst schnell über eine Gesundheitsgefahr zu informieren, sind die Abläufe in den Behörden bisher nicht ausgelegt.


Bild: Nile/Pixabay.

Die Recherche erschien zuerst im Bonner General-Anzeiger sowie bei ga.de.


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