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Jeder Tag ein Veggie-Day

Martin Rücker

Kulturkampf auf dem Rücken der Kinder

Jeder Tag ein Veggie-Day: In Freiburg sollen Kinder in städtischen Schulen und Kitas nur noch vegetarische Kost bekommen. Jubel und Aufschrei sind groß – dabei gerät eines völlig aus dem Blick: Die Bedürfnisse der Kinder. 

27. Oktober 2022

In Freiburger Schulen und Kitas ist künftig also jeder Tag ein Veggie-Day. Der Gemeinderat der badischen Stadt hat in dieser Woche dafür gestimmt, dass das Mittagessen für die Kinder in städtischen Einrichtungen vom kommenden Schuljahr rein vegetarisch sein werden: Eine kommunalpolitische Entscheidung, die bundesweit die Töpfe überkochen lässt. Die einen feiern den Freiburger Weg als überfälligen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Die anderen empören sich über eine paternalistische „Zwangs-Diät“ (als ob jede andere Form von vorgesetztem Speiseplan nicht auch etwas Zwanghaftes hätte).

 

Die Kontroverse ist zu einem unerträglich ideologischen Kulturkampf verkommen, ausgeführt auf dem Rücken der Kinder. Weil Freiburg auch noch einen 30%-igen Bio-Anteil anstrebt, fehlen fast nur noch die Gendersternchen – für die meisten anderen Lieblingstrigger ist gesorgt: Freiheit vs. Zwang, Bio vs. Konventionell, Vegetarische vs. fleischhaltige Ernährung. Und dann geht es auch noch um Schulen und Kinder: Ring frei!


Doch halt: Dreht sich die Debatte wirklich um die Kinder? Leider nein. In der Kontroverse um den Freiburger Weg fällt eine – die wichtigste! – Frage nahezu vollständig unter den Tisch: Was brauchen eigentlich die Kinder?


Kinder sind keine Roboter


Wer sich die Beschlussunterlagen des Freiburger Gemeindebeirats ansieht, kann eigentlich nur entsetzt sein, auf welch abenteuerlichem Niveau hier Debatten geführt und Entscheidungen gefällt werden. Je jünger die Kinder, umso entscheidender ist die Rolle der Ernährung für ihre gesunde Entwicklung und ihre Zukunftschancen. Was wissenschaftlich lange bekannt und in der breiteren Öffentlichkeit sträflich unterschätzt ist, wird in der Entscheidungsgrundlage der Kommunalpolitiker gar nicht erst näher reflektiert. Die Qualität des Essens erscheint da als Randnotiz, im Beschluss selbst spielt sie keine Rolle: Es geht um „Kosten“, um „Verwaltungsvereinfachung“ und „Bürokratieabbau“, als seien Kinder eine Art Essenvertilgungsroboter ohne Bedürfnisse.


An den Anfang einer solchen Entscheidung aber würde die Frage gehören: Wie lässt sich für Kinder eine ausgewogene Ernährung organisieren, die die bei diesen auch ankommt? Immerhin ist aus Freiburg zu hören, dass die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) erfüllt werden müssen – bis auf die für eine Mischkost vorgesehene Empfehlung, einmal Fisch und maximal einmal Fleisch pro Woche anzubieten. Doch da beginnt das Problem.


Ohne Frage ist eine gute, rein vegetarische Ernährung möglich. Angesichts des im Abgleich mit den Empfehlungen viel zu hohen Fleischkonsums gäbe es auch eine gesundheitliche Begründung dafür. Billiger ist das, nachhaltiger dagegen nicht automatisch, da für eine insgesamt nachhaltige Landwirtschaft ein gewisses Maß an Tierhaltung nötig ist. Ob die angebotene Veggie-Kost aber ausgewogen ist, hängt am Detail: Gelingt es, wichtige Nährstoffe, die Fisch und Fleisch enthalten, stattdessen über andere Zutaten zu servieren – und zwar solche, die die Kinder auch essen. Machbar ist das, vorausgesetzt es gibt ein Konzept. Dass der Gemeinderat dies nicht zum festen Bestandteil seines Beschlusses macht, ist befremdlich, könnte aber von der Verwaltung noch aufgefangen werden.


So macht man Zwangs-Diät


Anders als eine weitere Entscheidung des Freiburger Gemeinderates, die in der hitzigen Debatte fast unterzugehen droht: Künftig soll es – natürlich aus Kostengründen – nur noch ein Menü, für die Kinder also keine Auswahl mehr geben. Wenn der Kampfbegriff von der „Zwangs-Diät“ trifft, dann hier! Denn wer sich um eine gesunde Ernährung von Kindern sorgt, der kann nicht einfach nur einen Nährstoffplan abhaken. Er muss ein Angebot schaffen, das auf Akzeptanz stößt – und zwar bei den Kindern, die der Gemeinderat in seinem Sparbestreben hier gänzlich aus den Augen verloren hat.


Natürlich sind auch bei Kindern die Geschmäcker verschieden. Brokkolisuppe passt perfekt auf jeden vegetarischen Speiseplan und zu den DGE-Empfehlungen – wird aber halt nicht jedem schmecken, selbst wenn sie exquisit gekocht ist. Was aber ist gewonnen, wenn immer wieder ein Teil der Kinder nichts findet, was ihnen schmeckt? Wer die Frage der Akzeptanz des Essensangebots vernachlässigt, wie es bei der Reduktion auf ein Menü programmiert ist, sorgt vor allem für hungrige Mägen und viel Lebensmittelabfälle.


Wenn es um Schul- und Kitakinder geht, darf kein Raum für Kulturkämpfe sein und keiner für kreative Sparpolitik. Ins Zentrum aller politischen Entscheidungen und aller Debatten gehört zuallervorderst nur eine Frage: Wie schaffen wir das, was Kinder brauchen? Die Antwort liegt nicht im Durchsetzen ideologischer Ideen. Dafür gibt es wissenschaftlichen Rat – und nicht zuletzt die verwegene Idee, Kinder am Entwickeln von Speiseplänen zu beteiligen. Wenn sich Politik an diesen Gedanken orientiert, wäre vieles gewonnen.


Dieser Text erschien zuerst in der Welt. Foto: iStock/wildpixel


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