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Das Post-100-Millionen-Euro-Syndrom

Martin Rücker

Long COVID & der PR-Coup des Karl Lauterbach

Dem Bundesgesundheitsminister ist ein kleiner PR-Coup gelungen. Ein Erfolg, der vieles darüber erzählt, wie unsere Medienlandschaft funktioniert – oder besser gesagt: nicht funktioniert. Eine kommentierende Einordnung der jüngsten Meldungen zu Long COVID. 

10. Juli 2023

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Eigentlich war Karl Lauterbach gerade auf voller Linie gescheitert. Mehrfach hatte er ein 100-Millionen-Euro-Programm zur Verbesserung der Versorgung von Long-COVID-Betroffenen angekündigt – im Haushaltsentwurf 2024 war dafür dann aber kein Geld mehr da. Die Pressestelle seines Ministeriums räumte dies auf Anfrage und mit einigem Verzug schließlich ein, was blieb ihr anderes übrig.

 

In den Medien aber hieß es plötzlich landauf, landab: „Lauterbach plant mehr Hilfen für Long- und Post-COVID-Patienten“. So schrieb es zum Beispiel das Ärzteblatt, mit ähnlichem Wortlaut sendete es auch der Deutschlandfunk („Bundesregierung plant laut Bericht mehr Hilfen“) – und viele andere berichteten.


»Exklusive« Informationen aus »Regierungskreisen«

 

Quelle der Meldung: Eine „exklusive“ Nachricht des Berliner Tagesspiegels. Während die Politik ob des Leids der Betroffenen „weitgehend ratlos“ sei, plane der SPD-Politiker gleich „mehrere neue Initiativen für eine bessere Versorgung von Long- und Post-Covid-Patienten“, steht darin. Man mag sich ausmalen, wer sich hinter den „Regierungskreisen“ verbirgt, den der Tagesspiegel-Autor als Quelle benannte, und auch, dass Lauterbach eine ziemlich gute Zeit gehabt haben dürfte, als er den Artikel las.


Kein Wunder jedenfalls war es, dass er ihn per Twitter weiterverbreitete – verbunden mit einem bemerkenswerten Seitenhieb: „Leider ist die Forschung an wirklich durchschlagenden Arzneimitteln unterfinanziert“, schrieb der Gesundheitsminister. Anzunehmen, dass er beim Absenden des Tweets bestens wusste, dass für die Therapieforschung – anders als für die Gesundheitsversorgung – nicht er, sondern Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zuständig ist. Auf die pulverisierten 100 Millionen ging Lauterbach in seinem Tweet dagegen nicht ein. 



Doch was ist über die „neuen Initiativen“ eigentlich bekannt? „So arbeitet das Gesundheitsministerium an einer Webseite mit Informationen und Anlaufstellen für Long-Covid-Patienten und deren Angehörige“, meldete der Tagesspiegel. „Ausgebaut werden soll außerdem die sogenannte Versorgungsforschung. Die Betroffenen sollen so leichter herausfinden können, wo eine gute Betreuung möglich ist.“


Hätte die Redaktion nicht nur „Regierungskreise“ mit Zugang zu den Plänen des Gesundheitsministers, sondern auch ihr Archiv befragt, so hätte auffallen können: Neu ist daran nicht besonders viel.


Initiative bereits im Januar angekündigt – damals nur größer


Bereits im Januar hatte Lauterbach in einem auch von seinem Ministerium verbreiteten (und von vielen anderen Medien, auch dem Tagesspiegel aufgegriffenen) Interview mit der Rheinischen Post eine „groß angelegte Initiative für Menschen mit Long Covid“ angekündigt: „Beispielsweise wird zeitnah eine Hotline in meinem Ministerium eingerichtet. Sie soll als Anlaufstelle dienen für Menschen, die auf der Suche nach Informationen zu Long Covid sind“, sagte der Minister. Und: „Die Menschen haben viele Fragen und häufig unspezifische Erkrankungen, darum ist es wichtig, dass wir ihnen eine Informationsplattform anbieten, die das bisherige Wissen bündelt, über den aktuellen Forschungsstand informiert und u.a. zu Diagnostik und neuen Therapieansätzen Auskunft gibt.“


Klingt verdächtig ähnlich wie die Pläne, die der Tagesspiegel jetzt als neu verkauft, oder? Nur dass die „groß angelegte Initiative“ im Januar eben noch mit großen Summen unterfüttert war, jenen 100 Millionen Euro nämlich, die jetzt doch nicht zur Verfügung stehen. Bis zur Fertigstellung des Haushaltsentwurfs hatte Lauterbach sein Ziel, diesen Betrag bereitzustellen, noch mehrfach „bekräftigt“, wie auch jene Medien – etwa das Ärzteblatt – schrieben, die jetzt so angetan von den angeblich neuen Vorhaben scheinen.


Ein Runder Tisch für Betroffene


Besonders putzig liest es sich, wenn Lauterbach laut Tagesspiegel im Herbst auch „zu einem Runden Tisch laden [will], bei dem diverse Beteiligte sich über ihre Erfahrungen mit Long und Post-Covid austauschen“ dürfen. Wenn irgendetwas bei Long-COVID funktioniert hat, dann die Vernetzung der Betroffenen untereinander in Selbsthilfegruppen und Onlineforen und die Vernetzung der Wissenschaftler, die substanziell zu diesen Themen arbeiten – und wenn es für irgendetwas keinen Minister braucht, dann wohl dafür. Aber hinterfragt, eingeordnet oder von Experten kommentiert werden solche Pläne in dem Artikel nicht. Es ist reiner Verlautbarungspublizismus, ein Dealen mir vermeintlichen Neuigkeiten.


Fairerweise sei gesagt: Auch der Tagesspiegel erwähnt, dass es keine 100 Millionen Euro geben wird.


Allerdings auf eigene Art und Weise: „Im April hatte Finanzminister Christian Lindner (FDP) 100 Millionen Euro für die Therapieforschung angekündigt“, steht in dem Artikel. Wirklich Lindner? Wirklich Therapieforschung? Als Quelle jedenfalls verlinkt der Tagesspiegel einen Artikel, in dem nicht vom Finanzminister, sondern von Lauterbach die Rede ist, der seine schon nicht mehr neue Ankündigung bekräftigt (siehe oben).


Irgendwas mit Politik


Nun mögen Lindner und Lauterbach beide mit „L“ beginnen und beruflich etwas mit Politik machen. Auseinanderzuhalten sind sie schon, genauso übrigens wie die Versorgungs- und die Therapieforschung – denn für das eine ist, wie gesagt, der Gesundheits-, für das andere die Forschungsministerin zuständig.


So aber stand Lauterbach mit den zufällig „aus Regierungskreisen“ beim Tagesspiegel gelandeten Informationen ziemlich gut da. Dass die angeblich von Lindner angekündigten Investitionen im Forschungsetat nicht kommen? Hat ja nichts mit ihm zu tun. Und schwuppdiwupp war aus einem Minister, der seine Ankündigungen nicht umsetzt, ein Mann geworden, der die Initiative ergreift, während andere noch „ratlos“ dreinschauen. Ziemlich beeindruckend.


Zum groß angelegten PR-Erfolg wurde die Meldung vor allem deshalb, weil sie sich rasant verbreitete. Die Zeit, die Süddeutsche Zeitung, das ZDF – sie alle berichteten von den alten neuen Plänen für eine „bessere Versorgung“ (ZDF), die die 100 Millionen Euro offenbar recht schnell zur Nebensache werden ließen.


Nicht falsch verstehen: Gut gemachte Informationsangebote sind viel Wert – sollte es all die bestehenden wichtigen Hinweise für Betroffene künftig verständlich und gut gebündelt auf einer Website geben, ist dies ein lohnendes Projekt. Nur machen gute Informationen noch keine gute Versorgung, und daran mangelt es doch eigentlich.


In einigen Artikeln heißt es korrekt, dass viele Long-Covid-Betroffene über fehlende, kompetente Anlaufstellen im Gesundheitssystem klagen. Wenn Minister Lauterbach an diesem Mittwoch (12. Juli) vor der Bundespressekonferenz also vorstellen wird, was von seiner großen Initiative übriggeblieben ist: Vielleicht fragt ja mal jemand bei dieser Gelegenheit*, welche Probleme eine Website löst, die auf Anlaufstellen verweisen soll, an denen es fehlt.


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Bild: BMG/Thomas Ecke


* Warum ich nicht frage? Das mache ich. Aber nicht an diesem Mittwoch vor der Bundespressekonferenz – dort habe ich bedauerlicherweise kein Fragerecht. Dies ist Mitgliedern des Vereins Bundespressekonferenz vorbehalten, der Vereinigung von Korrespondenten, die mehr oder weniger täglich über das Parlamentsgeschehen berichten.

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