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Viel Unterstützung für keine Strategie

Martin Rücker

170 Experten und der »Masterplan« für gutes Essen

Während die Ernährungspolitik der Bundesregierung auf einigen Widerstand trifft, geben 170 Ernährungsexperten Rückenwind. Das jedenfalls melden eine Bundesbehörde und ein Berliner „Thinktank“. Die Recherche zeigt jedoch: Das stimmt so nicht. 

28. Juni 2023

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„170 Ernährungsexpertinnen und -experten unterstützen die Ernährungsstrategie der Bundesregierung“: So verkündeten es das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) und der Berliner „Thhinktank“ Nutrition Hub Ende April in einer Presseerklärung und dem zugehörigen „Masterplan Gutes Essen für alle“. Die Mitteilung war voll des Lobs für „die aktuelle Bundesregierung“, die Ernährung „nachhaltiger, gesundheitsförderlicher, tierwohlorientierter, inklusiver und vor allem klimafreundlicher“ gestalten wolle und das Thema „erstmals ganzheitlich“ angehe.

 

Zuspruch von so vielen „Experten“ – für Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne), der zuletzt heftige Kontroversen ausgelöst hatte, eine gute Nachricht. Allein: Sie stimmt so nicht.


Union kritisiert Bundeszentrum


Mit ihrer Ernährungsstrategie will die Ampel erstmals einen ressortübergreifenden Politikansatz formulieren, der den zerklüfteten Zuständigkeiten Rechnung trägt: Landwirtschafts-, Gesundheits-, Familien- und Sozialministerium – alle haben irgendwie mit Ernährung zu tun. Doch die noch immer laufenden Beratungen war von Beginn stark belastet. Mit einem konkreten Vorschlag ist Özdemir schon koalitionsintern auf Widerstand gestoßen: einem strengen Verbot der an Kinder gerichteten Werbung für ungesunde Lebensmittel. Derzeit blockiert die FDP das Vorhaben. Gleichzeitig kursieren ständig neue Meldungen von einem angeblichen Verbot auch der Milch-Werbung, zuletzt war von Plänen für ein Fleisch-Verbot in Kantinen die Rede. Falschmeldungen, die jedoch zeigen, wie sehr die Ernährungspolitik ein Kulturkampf ist. Im Zentrum: die unter permanentem Ideologie-Verdacht stehenden Grünen. Als Ampel und Linke im Bundestag einen „Bürgerrat Ernährung“ einberiefen, lautete die Kritik sofort: Die Grünen wollten damit eigentlich nur vegetarisches Bio-Essen für alle durchsetzen. Dieses Stigma belastet auch die Arbeit an der Ernährungsstrategie – Unterstützung kann Özdemir also gut gebrauchen.


Doch einige der 170 zitierten Experten rieben sich die Augen, als sie Veröffentlichung des Bundeszentrums sahen: Einerseits existiert die von Özdemir vorangetriebene „Ernährungsstrategie“ der Ampelkoalition ja noch gar nicht, und so mancher wunderte sich, was er da eigentlich unterstützen soll. Anderseits ist das BZfE – ein Teil der Özdemir unterstellten Bundesanstalt für Landwirtschaft  (BLE) – nicht dafür bekannt, die Regierungspolitik zu flankieren. Es soll „neutral und wissenschaftlich fundiert über Ernährungsthemen“ informieren. Darauf verweist auch der CDU-Politiker Steffen Bilger, stellvertretender Chef der Unionsfraktion: „Das Bundeszentrum für Ernährung sollte sich als staatliche Stelle auf seinen Informationsauftrag konzentrieren und bei der Einflussnahme auf Regierungsstrategien Zurückhaltung üben“, kritisiert er. Zudem müsse Klarheit darüber herrschen, wer sich in die Ernährungsstrategie einbringe.


Sicher ist: Nutrition Hub zählt dazu. Hinter dem Berliner „Think Tank für die Zukunft der Ernährung“, so die Selbstbeschreibung, steht die NuHub GmbH der Ökotrophologin Simone Frey. Als Özdemirs Ministerium im vergangenen Jahr Wissenschaftler, Verbände und Organisationen einlud, um über die Ernährungsstrategie zu beraten, bat er auch Nutrition Hub an den Tisch. Das BZfE griff bereits vier Mal auf die Dienste des Unternehmens zurück, überwies ihm gut 85.000 Euro netto für Expertenbefragungen und deren Aufbereitung. Heraus kamen sogenannte „Trendreports“ – und zuletzt der besagte „Masterplan“.


Es ist ein großer Titel für eine pdf-Datei aus 20 spärlich beschriebenen Seiten. Sie berichten über eine Online-Befragung von 170 „Ernährungsexperten“, die zum Beispiel gutes Kantinenessen und Ernährungsbildung für Kinder als wichtig einstufen. Worauf genau die Befragten Antwort gaben und wie ihre Rückmeldungen ausgewertet wurden, bleibt unklar. Fest steht: Ob sie die Politik der Ampelkoalition „unterstützen“, wurde gar nicht erst abgefragt. Das bestätigen auf Anfrage sowohl Nutrition Hub als auch die damalige BZfE-Leiterin Margareta Büning-Fesel, von Özdemir jüngst zur Präsidentin der BLE befördert. Die Teilnehmer gaben lediglich an, welche Themen ihnen wichtig sind.


»Absolut schräg«


Warum Behörde und Nu Hub daraus eine Unterstützung für die Regierung machten? „Das ist die Art und Weise, wie man das redaktionell ausarbeitet“, sagt Büning-Fesel. Eine „strategische Entscheidung“, um Experten aus der Ernährungswissenschaft sichtbarer zu machen: „Die Botschaft lautet: Bitte fragt die Profis.“ Das Ministerium sei überdies erst hinterher über die Veröffentlichung informiert worden: „Das war in keinster Weise eine Auftragsarbeit des Ministeriums, denn das BZfE agiert in seiner Kommunikationsarbeit eigenständig“, betont Büning-Fesel. Nutrition Hub-Chefin Frey ergänzt: „Die 170 Expert:innen nannten vor allem Themen, die auch beim Ministerium ganz oben auf der Agenda stehen.“ Aber Unterstützung?  


„Absolut schräg“, nennt das eine der befragten Personen, die auf keinen Fall als Unterstützerin einer noch nicht vorhandenen Strategie dastehen möchte. Wie auch andere Befragte gibt sie an, nur deshalb an der Umfrage teilgenommen zu haben, weil ihre Institution eine solche Form der öffentlichen Präsenz gerne sieht – schließlich nennt Nutrition Hub die Experten mit Namen, auch in den sozialen Medien.


»Lauter wichtige Menschen« – aber warum?


Was steckt hinter dem „Thinktank“, der sich aufmacht, die Ernährungspolitik zu beeinflussen? „Wir wollen die Zukunft der Ernährung vorantreiben, mit der geballten Kraft der Expert:innen“, erklärt Gründerin Frey: „Ernährungsexpert:innen sind in der Öffentlichkeit kaum sichtbar, das möchten wir ändern.“ Dass die Berliner zum Partner des Bundeszentrums wurden, überrascht jedoch – auch weil es bei ihren Aktivitäten nicht unbedingt nur um wissenschaftliche Ratschläge für gesunde Ernährung geht.


Für ihren „Expert Circle“ kann sich bewerben, wer drei Jahre Ausbildung in einem Ernährungsfach vorzuweisen hat. Ein Professor berichtet, dass er mit Staunen einige seiner Absolventen unter den „Experten“ wiedergefunden habe – auch solche, die mit so mäßigem Erfolg abgeschlossen hätten, dass ihnen eine andere Berufswahl nahezulegen sei.


Andere fragt Nutrition Hub an. Nicht alle wollen sich beteiligen. Ein Wissenschaftler sagt, er sei immer wieder angefragt worden, ob er nicht Teil der Community werden und an Befragungen teilnehmen möchte. Ihm stieß auf, dass es „viel zu breit gefasst“ war, wer im Nutrition Hub als „Experte“ durchgeht, und dass die Befragungen so gar nicht wissenschaftlich erfolgten – er lehnte dankend ab. Tatsächlich sind die „Trendreports“ wissenschaftlich belanglos, zu denselben Themen liegen Özdemirs Ministerium bereits Hunderte Seiten Gutachten seines Wissenschaftlichen Beirats vor, belegt mit Studien statt mit Meinungen. Andere aber, so der Wissenschaftler, hätten sich bei wiederholten Anfragen „breitschlagen“ lassen, auch weil die Szene klein ist und man ungern Nein sagt.


Irritation über Bundesbehörde


„Breitschlagen lassen“ ist eine Formulierung, die in den Gesprächen häufiger fällt. Auch manche der befragten Experten halten alles für ein wenig aufgeblasen: „Das sind lauter wichtigen Menschen, von denen eigentlich niemand weiß, warum die wichtig sind“, sagt eine – „eine optisch hübsch aufbereitete Plattform für Leute, die gern gesehen werden wollen. Ich war sehr irritiert, dass das BZfE das unterstützt.“ Wer sich beteiligt, sei „völlig willkürlich“.


Auf einer Internetseite listet Nutrition Hub seine „Kooperationen“ – das „einzigartige Netzwerk“ –auf. Mit Logo vertreten namhafte Institutionen auch aus Wissenschaft und Medien. Offenbar sind die Partnerschaften nicht immer besonders tiefgreifend. Die aufgeführte Duale Hochschule Baden-Württemberg etwa gibt an, dass es „keine Kooperationsvereinbarung“ gebe, lediglich eine Professorin habe an einer Befragung des Nutrition Hub teilgenommen. Das haben gilt auch für Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), die dem Einsatz des Logos zugestimmt hat, zugleich aber erklärt: „Es gibt keine Kooperation der DGE mit Nutrition Hub.“


Was die Macherinnen heute als „Deutschlands größte und einflussreichste Ernährungsexpert:innen-Community“ verkaufen, begann als Facebook-Gruppe aus Ernährungsinteressierten, ins Leben gerufen von Frey und einer Partnerin. Die steht bis heute mit Foto auf der Nutrition Hub-Website, arbeitet inzwischen jedoch für die Investmentabteilung von Jägermeister. Frey hingegen, laut „Tagesspiegel“ einer der wichtigsten Köpfen der Berliner Wirtschaft, gründete die NuHub GmbH, mit der sie die Community vermarktet. Man begleite Unternehmen „in die Zukunft“ und entwickle Lösungen „von der Strategie über das Produktportfolio bis zur Kommunikation“, heißt es auf der Website. Das „besondere Netzwerk aus Wissenschaftler:innen, Influencer:innen, Unternehmer:innen, Startup-Gründer:innen und Investor:innen“ biete da den „Zugang zu einzigartigem Expert:innenwissen“. Für 390 Euro netto können Unternehmen die Zugänge auch andersherum nutzen: „Buchst du ein Posting bei uns, dann teilen wir dieses über unsere Kommunikations-Kanäle“, lautet ein Angebot.


»Gefährlicher Unsinn«: Ärger mit der Verbraucherzentrale


Und auch an anderer Stelle arbeitet Nutrition Hub weniger neutral, veröffentlicht Texte in Kooperation mit Unternehmen oder in Nähe zu Verbänden. In der Anfangszeit der Pandemie verbreitete es ein Experteninterview über „Immun Booster“ – Artikel und zugehörige Social-Media-Beiträge stellten den wissenschaftlich bedeutend kritischer gesehenen Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln recht positiv dar, vor allem den der Basensupplementation. „Gefährlicher Unsinn“, lautete dazu das Urteil der Verbraucherzentrale NRW in einem Schreiben an Nutrition Hub. Erst nach der Intervention der Verbraucherschützer machte es so richtig transparent, dass die für den Artikel befragte Interviewpartnerin mit ihrer Firma genau jene Produkte vermarktet, die sie als „Expertin“ in ein gutes Licht rückte. Im vergangenen Jahr veröffentlichte Frey einen Erfahrungsbericht zum Heilfasten – finanziert wurde ihr Aufenthalt von der Fastenklinik, über die sie berichtete, samt Link zum Onlineshop der Einrichtung.


Wie aber wurde die NuHub GmbH zum Partner einer Bundesbehörde? Nachdem es seine ersten Expertenbefragungen noch im Alleingang veröffentlicht hatte, fragte es Stiftungen, Behörden und wissenschaftliche Einrichtungen für Kooperationen an. Mit dem BZfE kam Gründerin Frey schließlich zusammen – zum Unverständnis von CDU-Politiker Bilger: „Dass es gleich mehrfach zu einer Beauftragung von Nutrition Hub durch das Bundeszentrum gekommen ist, und das auch noch ohne Ausschreibung und ohne klaren Auftrag, finde ich sehr fragwürdig", sagt er.


„Für mich war das Netzwerk entscheidend“, begründet Behördenleiterin Büning-Fesel die Entscheidung. Weil das Expertennetzwerk des Nutrition Hub ein Alleinstellungsmerkmal sei, habe es auch ohne Ausschreibung beauftragt werden können. 


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Der Text erschien zuerst in der Berliner Zeitung. Bild: Grafik aus dem »Masterplan« von NutritionHub und BZfE (bearbeitet mr).

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