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Martin Rücker

Kommentar: Özdemirs Bio-Politik

Cem Özdemirs Kantinen-Label ist bereits das vierte staatliche Logo, das Bio-Lebensmittel vermarktet. Was hingegen weiterhin fehlt: Ein Plan, wie in den Kantinen endlich gesundes Essen zum Beispiel für Schüler auf den Tisch kommen soll. 

27. April 2023

Und schon wieder gibt es ein neues Lebensmittelsiegel. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir stellte es am Mittwoch vor, diesmal ein Label für die Gemeinschaftsverpflegung. Kantinen und Mensen dürfen sich damit künftig als Bio-Anbieter vermarkten. Das Erste, was daran bemerkenswert ist: Es ist sage und schreibe das vierte, staatliche Siegel, das Bio auslobt – und schon deshalb wenig sinnvoller als ein Sandkasten in der Sahara.


Zum einen haben wir das EU-einheitliche Bio-Siegel. Seit 2010 ist es für Öko-Produkte im Binnenmarkt verpflichtend, und damit könnte auch schon alles gesagt sein – ist es aber nicht. Denn trotz des EU-Siegels leisten wir uns ein separates deutsches Bio-Logo: Jenes Sechseck, das die grüne Ministerin Renate Künast 2001 eingeführt hatte. Damals war das durchaus eine gute Idee, schließlich gab es noch kein solches Label und die EU-Staaten benötigten noch viele Jahre der Diskussion, bis sie sich auf das einheitliche europäische Logo verständigen konnten.


Behörde prüft Unternehmen, die längst geprüft sind


Mit dessen Einführung vor nunmehr 13 Jahren aber könnte das Künast-Siegel längst abgeschafft sein, denn beide haben exakt dieselbe Aussage: dass ein Produkt nach den Regeln der EU-Ökoverordnung hergestellt wurde. Stattdessen beschäftigen wir das Referat einer Bundesbehörde damit, die Registrierungen von Firmen zu bearbeiten, die das bekanntere nationale zusätzlich zum EU-Siegel tragen wollen. Die Behörde prüft also Anbieter, die längst geprüft sind. Den Steuerzahler mag dieser Luxus zwar „nur“ rund 250.000 Euro im Jahr kosten, doch bleibt es eine verzichtbarere Doppelstruktur, die einzig ein Ziel hat: Marketing für Bio.


Dieser Logik folgt auch Siegel Nummer drei, das von Özdemir geplante staatliche Tierhaltungskennzeichen. Für Bio hat er dort eine eigene – die höchste – Stufe reserviert. Dafür sollen sich Bio-Tierhalter, die längst als Bio-Tierhalter amtlich bekannt sind, bei den Behörden noch einmal als Bio-Tierhalter registrieren. Die (bisher immerhin noch nicht zertifizierten) Bio-Verbraucher können künftig beim Einkauf also recht sicher sein, dass ein Kotelett mit EU-Bio-Siegel, deutschem Bio-Siegel und der Haltungskennzeichnung Bio wirklich ein Bio-Kotelett sein soll.


»Bio« nicht mit »Nachhaltigkeit« verwechseln


Nun also noch ein staatliches Bio-Siegel für Kantinen – die freilich bereits heute Bio-Produkte als solche ausloben können (und künftig dann eben mit staatlicher Medaille auch noch den Bio-Anteil ihres Angebots). Achselzuckend könnte man sagen: Nach 16 Jahren konservativer Ideologie in der Landwirtschafts- und Ernährungspolitik werden nun eben mit grüner Ideologie die Interessen einer anderen Klientel bedient: die der Öko-Branche. Wäre es nur nicht so schädlich, dass Özdemir mit diesem Ansatz aus den Augen verliert, was die eigentlichen Ziele sein sollten.


Die einseitige Förderpolitik verwechselt „Nachhaltigkeit“ mit „Bio“, setzt die Begriffe gleich. Dabei hat das „System Bio“ unzweifelhaft Vorteile, allen voran für Bodenschutz und Artenvielfalt – aber eben auch Nachteile. Das beginnt beim Öko-Landbau und dessen Ertrag – auch ein Nachhaltigkeitsfaktor! – und endet in der ökologischen Tierhaltung, die Schweinen, Kühen und Hühnern zwar mehr Platz gewährt, sie aber nicht in besserer Gesundheit zu halten vermag. Vor allem aber ist Bio ein starres System, das sich seit Jahrzehnten kaum weiterentwickelt hat, und dessen Dasein heute mehr auf dem staatlichen Schutz des Begriffs „Bio“ gründet als auf seiner tatsächlichen Bilanz.


Minister Özdemir wäre gut beraten, sich auf objektive Ziele für Klima-, Umwelt- und Tierschutz sowie für das Essensangebot in Schulen, Kitas oder Pflegeheimen zu konzentrieren, anstatt immer höhere Systemgrenzen zwischen ökologischen und konventionellen Anbietern aufzubauen. Sie könnten gegenseitig viel voneinander lernen – und beide ihre Ergebnisse im Sinne der allgemeingültigen Ziele verbessern.


Ein Rückfall in alte Muster


Die gerät immer dann aus dem Sinn, wenn Bio als Gold-Standard, als finale Lösung dastehen soll, die es nicht ist. Auch in der staatlich besiegelten Bio-Schulkantine gibt es nicht zwangsläufig ausgewogenes, vitaminreiches Essen. Nur: Wie die Schüler endlich ein für ihre Gesundheit so wichtiges gesundes Angebot erhalten, dafür fehlt bislang jeder Plan. Man kennt das Muster vom Tierhaltungskennzeichen: Auch hier präsentiert Özdemir Bio als Optimum – und bleibt ein schlüssiges Konzept schuldig, wie er die Tierhaltung messbar für die Tiere verbessern will.


Als sich der Minister mit seinen Ideen zur Regulierung der Werbung für Ungesundes mit Koalitionspartner und mächtigen Branchen anlegte, hat er Mut bewiesen und auf wissenschaftliche Argumente gehört. Denselben Mut sollte er auch zeigen, wenn es um die Interessen der Öko-Branche geht: Es lohnt sich, Ziele zu fördern – aber nicht pauschal ein „System“. Wenn selbst ein Mann wie Urs Niggli, Ikone der agrarökologischen Forschung, beispielsweise die Offenheit für neue Gentechnik einfordert und eine Abschaffung des Bio-Siegels für zielführend hält, weil die systemische Zweiteilung in Bio und Konventionell doch besser überwunden werden sollte, besteht Anlass zum Nachdenken. Das Kantinen-Siegel ist da ein Rückfall in alte Muster.


Dieser Text erschien zuerst in der Welt. Foto: BMEL/Montage: mr

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